3. Dezember 2012

Acequias


Am Südhang der Sierra Nevada, in der Alpujarra, zwischen Granada und Mittelmeer, liegt ein Dorf Namens Lanjaron. Eingebettet in karge Hügelzüge und seit Jahrzehnten zunehmend von mitteleuropäischen und englischen Auswanderern besiedelt. Ein Dorf wie es viele gibt in Andalusien, in dem die Feindschaften aus der Franco-Diktatur noch Familien trennen, in dem niemand über den Bürgerkrieg redet, obwohl ganz in der Nähe ein Massengrab mit mehreren tausend Füsilierten liegt. Ein Dorf, in dem nach jeden Wahlen die öffentlichen Posten an die Familien und Genossen der Siegerpartei verteilt werden. Ein Dorf, welches die goldenen Jahre hinter sich lässt, geschüttelt von der Krise der Mächtigen und ihrer Peitsche: Dem Kapital. In ganz Spanien werden jede Woche fünfhundert Haushalte polizeilich geräumt, weil sie die Zinsen ihrer Hypotheken nicht mehr bezahlen können. Ganze Familien werden auf die Strasse gestellt.

Lanjaron. Ein Dorf aus unzähligen Terrassen. Gestützt von Steinmauern und den Wurzeln alter Oliven- und Mandelbäume. Oben am Hang, wo die kahlen Rücken der Sierra Luja die Sicht auf das Mittelmeer freigeben und bei klarem Horizont die Klippen des marokkanischen Rifs erblicken lassen, steht ein Wald aus riesigen, siebenhundert Jahre alten Kastanienbäumen. Wurzeln wie die Beine riesiger Sumoringer winden sich entlang der Acequias in die Erde. Sie sind das Geheimnis des grünen Hügels, die Acequias, aus Steinen gebaute Wassergräben, die vom Flusstal kilometerweit horizontal in die Hänge hinein fliessen. Angelegt von den Arabern, welche vor tausend Jahren Al Andalus zu einer zivilisatorischen Hochburg machten, bis zur Zeit als Kolumbus Amerika entdeckte, von den mitteleuropäischen Dynastien unter den Kreuzflaggen wieder vertrieben wurden. Sie führten Wasser in die Hänge, welches die Terrassen fruchtbar machte und entlang der Acequias in den Boden sickerte, um die Kastanienbäume zu tränken, die sie pflanzten. Die Kastanien, welche noch heute mächtig in der Landschaft stehen, allen Waldbränden von siebenhundert Jahren zum Trotz. Jeden Tag öffnet und schliesst der Acequiero nach einem genauen Plan die Schleusen der Wasserläufe und jeder Cortijo, jedes Höfchen, hat seine festgelegten Stunden Wasserrecht. Heute sind viele Wassergräben zubetoniert. Und unten im Dorf bohrt Agua Lanjaron immer tiefer in den Berg, um das Grundwasser abzupumpen, in Flaschen zu füllen und in den Supermärkten des Landes zu verkaufen. Die Gewinne gehen an den Französischen Lebensmittelkonzern Danone. Und die Kastanien trocknen allmählich aus.